“Wir lieben eben unseren Job”, sagt Louis Defaut. Der junge Mann im blauen Sweatshirt und mit modischer Brille auf der Nase hält kurz inne, kann sich sein Lachen aber nur kurz verkneifen. Hinter ihm liegen nämlich extrem arbeitsintensive Monate und Jahre. Defaut zeichnet bei Van Rysel für die Entwicklung der Rennräder verantwortlich.
Jener Sparte, die im Frühjahr auf der Velofollies ein wahres Neuheiten-Feuerwerk abbrannte: Gleich sieben neue Modelle präsentierte die junge Eigenmarke des französischen Sportartikelgiganten auf der Fachmesse im belgischen Kortrijk.
Sie sollen bis 2024 in die (Online-)Shops rollen – darunter das neue Van Rysel RCR, ein Wettkampfrad, das im Stile eines Allrounders die Symbiose aus Geschwindigkeit, Leichtbau und Komfort erreichen will. Klingt spannend, dachten wir uns, und testeten das Bike als erstes Fachmagazin weltweit in Windkanal, Labor und freier Wildbahn.
Zum Testzeitpunkt war das RCR noch so frisch, dass Van Rysel nur einen Prototyp aus Lille nach Deutschland schicken konnte. Bis auf das Finish entsprach dieser aber exakt der Version, die ab kommenden Jahr in die Läden kommen soll und Gerüchten zufolge von den Profis der französischen Equipe AG2R gefahren wird. Bestätigt sich das, kann sich das World-Tour-Team auf ein Arbeitsgerät freuen, das sich kaum nennenswerte Schwächen leistet und einige arrivierte Hersteller in den Kerndisziplinen in den Schatten stellen wird.
Mit einem Gesamtgewicht von 6,9 Kilogramm und einer Aero-Leistung von 207 Watt bei 45 km/h stellt das RCR eine neue Benchmark in der Kategorie der Race-Allrounder auf. Kein anderes Modell war bislang im GST-Windkanal schneller und zugleich leichter als das Van Rysel, das damit zudem unter die Top Ten der schnellsten Räder im TOUR-Test springt.
Die Rangliste wird ansonsten von Aero-Rennrädern dominiert, die jedoch zwischen 310 und 1290 Gramm schwerer sind. Was für ein Coup! Auf der Waage profitiert das RCR neben dem leichten, in Vietnam gefertigten Rahmen-Set von der hochwertigen Ausstattung.
Bei der Aero-Performance trägt die Kooperation mit der französischen Luft- und Raumfahrtbehörde Früchte, in deren Windkanal in Lille Rohrformen sowie Anbauteile optimiert wurden und – gemessen an flächigen Aero-Modellen – das Ganze in einem zurückhaltendem Design mündete. Am ehesten sticht noch das extrem schmale One-Piece-Cockpit hervor, das knapp über dem erlaubten UCI-Mindestmaß von 350 Millimetern Breite liegt und dem Fahrtwind wenig Angriffsfläche bietet.
Auf der Straße präsentiert sich die Neuheit entsprechend agil und meistert die verschiedenen Fahrsituationen, als ob es nie etwas anderes gemacht hätte. Zwei kleine Dämpfer gibt’s dennoch: Durch den Leichtbau ist das Fahrwerk nicht superfahrstabil – für ausgezehrte Profis weniger ein Problem als für schwerere Fahrer. Zudem ist die Sattelstütze relativ unnachgiebig. Das Van Rysel lässt somit bei der Gesamtnote zwei Zehntel liegen und verpasst knapp den elitären Top-Club der besten Räder im TOUR-Test, behauptet sich gleichzeitig aber vor etablierten World-Tour-Rädern.
Mit dem RCR läutet die Decathlon-Eigenmarke auch in der Preispolitik eine Zeitenwende ein und forciert den eigenen Anspruch, im umkämpften Markt als sportlich-ambitionierte Marke wahrgenommen zu werden. “Wir haben viele Menschen zum Radsport gebracht, ab einem bestimmten Niveau sind diese aber zu anderen Marken abgewandert”, so Marketing-Chef Maxime Delabre: “Wir wollen mit Van Rysel die Menschen bei uns behalten”.
Die vier Ausstattungsvarianten des aktuellen Modelljahrs mit elektronischer Schalttechnologie (Shimano oder SRAM) und Carbon-Laufrädern (Shimano oder Zipp) kosten zwischen 4200 und 8500 Euro. Das getestete RCR mit Dura-Ace, Swiss-Side-Laufrädern und gedrucktem Sattel von Fizik wird ab kommendem Jahr für 9000 Euro erhältlich sein. Damit ist der Race-Allrounder im Vergleich zwar eher günstig, ob sich Van Rysel aber gegen etablierte Marken etablieren kann, wird sich erst noch weisen. Ein Team bei der Tour de France würde diesen Prozess sicher mit anschieben.
>> Das Van Rysel RCR bekommt eine TOUR-Gesamtnote von 1,6
*Gewogene Gewichte.
**Herstellerangabe Testgröße fett.
***Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr;
STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition.
****Laufradgewichte inklusive Bereifung, Kassette, Schnellspanner/Steckachsen und ggf. Bremsscheiben.
*****Einzelnoten, die unterschiedlich gewichtet in die Gesamtnote einfließen, drucken wir aus Platzgründen nur zum Teil ab. Die Noten werden bis zur Endnote mit allen Nachkommastellen gerechnet; zur besseren Übersichtlichkeit geben wir aber alle Noten mit gerundeter Nachkommastelle an.
******Aerodynamik theoretisch benötigte Tretleistung, um den Luftwiderstand bei 45 km/h zu überwinden, gemessen im Windkanal mit einem tretenden Beindummy.